Herstellung von Kleidung: Schwarze Lunge, Dürre, Tierquälerei | Kunst

2021-12-14 17:59:16 By : Ms. Ruby Liu

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Ist das x-te Hemd im Schrank den Preis wert, den Mensch, Tier und Umwelt dafür zahlen? „Fast Fashion“, eine Ausstellung in Berlin zum Thema „Die dunkle Seite der Mode“.

Allein die Begegnung mit Reshma ist die Reise nach Dahlem wert. Der Inder mit dem umwerfenden Lächeln arbeitet seit 15 Jahren in einer Fabrik in Panipat, die Kleidung recycelt, die in Altkleidern in Deutschland, Italien oder Frankreich landete. Kleidung zu recyceln klingt gut, ist aber wegen der meist verwendeten Mischfasern sehr schwierig. In Panipat wird alles zu Decken verarbeitet, die wahrscheinlich nicht davon abhängen, woraus sie bestehen. Aber das ist nur nebenbei.

Die Kleiderberge reichen hier unter das Hallendach, und die Arbeiter greifen jeden einzelnen Gegenstand auf. Es gibt Frauen und Männer, die den ganzen Tag nichts tun, als Knöpfe oder Reißverschlüsse zu entfernen. Oder die alles nach Farben sortieren, die Maschinen beladen, die Kleider in kleine Fetzen reißen, aus denen sich ein Faden spinnen lässt. Und mit dieser Arbeit entsteht ein Bild. Ein Bild von den Menschen in Deutschland, Italien, Frankreich oder den USA, die diesen endlosen Kleiderstrom ausschütten.

Reshma und ihre Kollegen scheinen am ehesten zu erklären, dass Wasser dort knapp und daher sehr teuer ist. Wenn die Leute dort ein- oder zweimal ein Kleid, eine Hose oder eine Jacke getragen haben, schicken sie es auf eine Reise übers Meer, denn das Waschen lohnt sich aufgrund der hohen Wasserpreise nicht. "Ich sehe nicht, warum diese Kleider sonst kommen sollten", sagt Reshma.

Meghna Guptas Dokumentarfilm „Unravel“ deprimiert und bringt einen in Verlegenheit. Er ist in der Ausstellung „Fast Fashion. Die dunkle Seite der Mode“ ist im Museum Europäischer Kulturen zu sehen. Sie wirft ein grelles Licht auf die dunklen Seiten der internationalen Modeindustrie und des Konsumverhaltens in der westlichen Welt. Unglaubliche 1,35 Millionen Tonnen Kleidung aus Privathaushalten in Deutschland landen jedes Jahr in Altkleidertonnen. Jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 Kleidungsstücke im Jahr, viele werden kaum oder gar nicht getragen und werden weggeworfen.

Das war nicht immer so. Fast Fashion, ausgelöst durch ständig neue Kollektionen der Modeketten, hat das Kaufverhalten verändert und die Wertschätzung für ein Kleidungsstück deutlich reduziert. Im Durchschnitt besitzen die Menschen viermal so viel Kleidung wie 1980.

Die Ausstellung, die für das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg entwickelt wurde, bietet so viele Denkanstöße, dass man jede Schulklasse dorthin schicken möchte und die Friday-for-Future-Aktivisten, für die das Thema Kleidung noch nicht so war besprochen Fokus liegt auf. Die CO2-Emissionen der Modebranche sind höher als die von internationalen Flügen und Kreuzfahrten zusammen. Viele von ihnen werden sich sicherlich in den zu Beginn gezeigten Videos wiedererkennen, in denen zwei Teenager, umgeben von Einkaufstüten, über ihre Streifzüge sprechen und jedes Detail der gerade gekauften Hose oder des T-Shirts präsentieren. Diese sogenannten Haul-Videos sind ein Internetphänomen und äußerst beliebt. Wenn Sie den Begriff auf YouTube eingeben, erhalten Sie am Ende eine scheinbar endlose Liste solcher Videos.

Immer wieder geht es um den Verbleib gebrauchter Kleidung, beispielsweise im Werk des niederländisch-kanadischen Fotokünstlers Paolo Woods. Mit seiner Arbeit „Pepe“ thematisiert er die Rückkehr von Kleidung aus den USA an ihren Produktionsstandort in Haiti. Hier werden dann die T-Shirts mit den dümmsten Sprüchen verkauft, die kein Secondhand-Laden in den USA haben möchte. Sie wirken wie eine Demütigung für ihre Träger. Ganz abgesehen davon, dass dieser Re-Import den haitianischen Schneidern die Lebensgrundlage genommen hat. In vielen afrikanischen Ländern ist es ähnlich.

Es gibt noch viele weitere negative Aspekte. Die meisten Textilarbeiterinnen, die in Asien leben, sind schlecht bezahlt und arbeiten unter schlechten, unsicheren Bedingungen. Der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013, bei dem mehr als 1.000 Menschen starben und rund 2.500 verletzt wurden, hat die westliche Welt sofort darauf aufmerksam gemacht. In Dahlem sind die weltberühmten Fotografien von Taslima Akhter zu sehen: ein in Trümmern begrabenes Paar, das sich tot umarmt oder die drei Menschen, die sich inmitten von Leichensäcken umarmen.

Andere ungesunde Aspekte der Arbeit in der Textilindustrie sind weniger bekannt. So werden Jeans sandgestrahlt, um ihnen einen abgenutzten Look zu verleihen. Das Einatmen des Quarzstaubs schädigt die Lunge irreversibel. Die Herstellung von Kleidung belastet nicht nur die Umwelt durch CO2-Emissionen, sondern auch durch den Einsatz von Pestiziden und Wasserverbrauch, wie ein Bild des fast nicht existenten Aralsees in Usbekistan schmerzlich zeigt. Er war einst der viertgrößte See der Welt – bis riesige Mengen des Wassers für die Bewässerung von Baumwollpflanzen verwendet wurden. Ein Baumwoll-T-Shirt kostet 2.500 Liter Wasser oder 12.000 Liter, je nach Anbaugebiet, erfährst du an einer Texttafel.

Wegen der nur hinter einem schwarzen Vorhang gezeigten Brutalität über den Umgang mit Schafen bei der Schur in Australien, bei der die Arbeiter die Tiere mit Füßen treten, verletzen und sogar töten, konnte der Autor keine zehn Sekunden stehen. Australien ist der größte Wollexporteur der Welt.

Beim Betreten des dritten Ausstellungsraums kann man aufatmen, denn hier geht es um Berliner Vertreter der Slow Fashion, der nachhaltigen Mode. Sie lassen die Welt des Konsums mit ihren Horrornachrichten über Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Zerstörung hinter sich und betreten eine auf ein freundliches, überschaubares, moralisch vertretbares Format geschrumpfte Welt. Eine, die dir keine Angst macht.

Rut Meyburg zum Beispiel fertigt Taschen oder Handschuhe aus ausrangierten Ledersofas, die sie in ihrem Laden in Berlin-Schöneberg verkauft. Jenna Stein hat die Berliner Kleidertauschbörse ins Leben gerufen, bei der man eigene Klamotten gegen andere tauschen kann. Verena Paul-Benz lässt die Artikel für ihr Label Lovejoi von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan in Oberschwaben produzieren. Ein Nachthemd kostet 50 Euro, da kann man zu Hause googeln. Du solltest aber höchstens zwei davon haben und lange tragen.

Am Ende stehst du in Dahlem vor einer Schüssel mit vielen Nähzeug. Nur ein Loch zu stopfen kann die Welt retten.

Museum Europäischer Kulturen, Berlin: bis 2. August 2020.